Wie MS „SANGERHAUSEN“ zu einem anderen Namen kam
von unserem Ehrenmitglied Kamerad Kapitän Horst Lubjuhn
Es war im Sommer 1984 wie bei jeder Hafenliegezeit im Heimathafen Rostock. MS „Sangerhausen" war von einer der Fernostreisen zurückgekehrt und wurde für die neue Reise fit gemacht. Die Ladung wurde gelöscht und die neue wieder sicher im Schiff verstaut. Mitglieder der Stammbesatzung traten ihren verdienten Urlaub an. Dafür kamen neue Besatzungsmitglieder an Bord. So kam es auch, dass eine neue Stewardess - ich nenne sie hier "Monika" - aufstieg. Sie kam aus dem Urlaub von ihren Eltern und freute sich auf die Reise nach Japan. Als sie mir während der Hafenzeit im Schiff begegnete, fiel mir auf, dass ihre Jeans ziemlich stramm saßen. Ich dachte so bei mir, na „Du“ hast ja auch schon ein kleines "Kartoffelbäuchlein". Da bei einem guten DSR-Koch auch bei den Stewardessen nicht immer "Model-Maße" zu halten waren, maß ich meiner Beobachtung keine weitere Bedeutung bei. Die neue Reise ging wie stets über Hamburg, Bremerhaven, Rotterdam und Antwerpen. In Antwerpen ergab sich fast immer eine sogenannte "Bauernnacht", willkom-mene Gelegenheit für einen ersten Fassbierabend. Dieser wurde genutzt, um die Urlaubserlebnisse auszutauschen, auf Familienereig-nisse anzustoßen, wie z.B. eine Hochzeit u.a.m., oder sich kennen zu lernen. Monika nahm an diesem Abend ebenfalls teil! Am nächsten Morgen rief sie mich an und teilte mir mit, dass sie ihren Dienst nicht antreten könne, weil sie starke Schmerzen im Bauchraum habe. Ich sagte ihr zu, sie noch vor dem Frühstück zu besuchen. Als ich die Kammer betrat, lag sie noch in der Koje und sagte, dass sie wohl eine Unterleibserkältung hätte. Auf meine Frage, ob sie denn schwanger sei, verneinte sie dieses. Mir blieb nur die Entscheidung, ein Taxi zu bestellen, das sie zum Arzt bringen sollte. Es war auch Eile geboten, da wir ja nach Ende der Tagesschicht auslaufen wollten. Das Taxi kam und brachte sie zum Arzt.
Es dauerte nicht lange und unsere Agentur teilte mir mit,
dass wir ein "neues Besatzungsmitglied" haben.
Monika war in Antwerpen Mutter geworden
und dies nach knapp einer Woche seit Reisebeginn.
Die Überraschung für alle war perfekt! Dies hatte keiner in der Besatzung vermutet, und sie selbst wahrscheinlich auch nicht, zumal der Abend vorher ganz normal verlaufen war. Als ich dieses Ereignis der Oberstewardess mitteilte, sagte sie, dass Monika ihr früh gesagt hätte, dass sie sich wohl die Blase erkältet hat, denn sie müsste oft zur Toilette. Wie wir hinterher wussten, es war bereits das Fruchtwasser und die Wehen hatten schon vor der Fahrt zum Arzt eingesetzt. Der Taxifahrer war froh, dass er es mit Monika noch bis in das Vorzimmer des Arztes geschafft hat. Weil am besten während des Ladebetriebs abkömmlich, beauftragte ich den Politoffizier Blumen zu kaufen und Monika einen ersten Besuch abzustatten und meine und der Besatzung Glückwünsche zu übermitteln. Zwischenzeitlich war Monika mit ihrem Baby in ein Krankenhaus verlegt worden. Als der Politoffizier mit den Blumen beim Pförtner nach Monika fragte, wurde er mit einer Gegenfrage begrüßt: "Ach, sie sind wohl der Vater?" Die Vaterschaftsfrage blieb für uns ein Geheimnis. Unsere Monika war wohlauf - das Baby auch. Die Geburt war reibungslos verlaufen, Sie war sogar der Meinung, sie könnte abends schon wieder arbeiten. Auf Nachfrage, ob sie denn vorher nichts gemerkt habe, verneinte sie dieses und sagte, sie habe vor der Seefahrt Leistungssport betrieben und ein Sportarzt hätte ihr gesagt, sie könnte keine Kinder bekommen. Später erfuhren wir, dass auch ihre Eltern aus allen Wolken gefallen sind. Wir setzten unsere Reise programmgemäß fort, und unsere Reedereivertretung und Agentur Sogemar in Antwerpen übernahmen die weitere fürsorgliche Betreuung von Monika und ihrem Baby. Unser damaliger Generaldirektor Artur Maul soll in einer Leitungssitzung gesagt ha-ben: "Was sind das für Männer an Bord, die eine schwangere Frau nicht von einer nichtschwangeren unterscheiden können!" Als Folge mussten alle mitreisenden Frauen vor Antritt einer Seereise eine ärztliche Untersuchung in dieser Angelegenheit nachweisen. Selbst die Mediziner unserer Patenstadt Sangerhausen hielten es nicht für möglich, dass eine Frau bis zur Geburt ihre Schwangerschaft nicht erkennt. Aber man konnte doch Monika auch nicht unterstellen, dass sie in der Biscaya oder im Mittelmeer, lediglich mit der Hilfe des Gesundheitsoffiziers (II. Nautischer Offizier) ein Baby bekommen wollte.
Unter den Seeleuten der DSR-Flotte wurde nach diesem wohl einmaligen Ereignis (nur wenige Tage nach Verlassen des Heimathafens Rostock) der Schiffsname "SANGERHAUSEN" in "SCHWANGERHAUSEN" umbenannt