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Prof. Dr. Ulrich Scharnow

Prof. ScharnowEin tragischer Unfall riss unser EHRENMITGLIED Kapitän Prof Dr. rer. nat. habil. Ulrich Scharnow 72jährig aus unserer Mitte. Am 4. Oktober 1926 bei Küstrin im Land Brandenburg geboren, war sein Leben nahezu 60 Jahre eng mit der deutschen Seeschifffahrt verbunden, hat er diese maßgeblich mit geprägt und Tausenden von Patent- bzw. Befähigungszeugnisinhabern wichtiges Rüstzeug durch direkte Lehre und publizierte Fachliteratur vermittelt.
Mit 14 Jahren begann für ihn die Seefahrt an der Schiffsjungenschule Stettin. Der Zweite Weltkrieg verschloss ihm den Weg, in die weite Welt der Seefahrt und zwang zur Fahrt als Matrose auf Motorseglern und Schonern, gefolgt von Einsätzen auf Truppentransportern nach Norwegen und Finnland. Nach dem Krieg besuchte er die Seefahrtschule in Elsfleth (bei Herrn Kapt. Baake). Auf einem an der Elbe nicht der Reparation zum Opfer gefallenen Dreimastschoner fuhr er später als Alleinsteuermann mit kleinem Patent (A5).
Da Schiffe in der großen Fahrt nach wie vor fehlten, nahm er nach 10 Jahren Seefahrt ein Hochschulstudium an der heutigen Universität Potsdam auf. Seine Hauptfächer waren Physische Geographie, Klimatologie, Kartographie und Pädagogik, verbunden mit Praktika am Meteorologischen Observatorium Potsdam und am Institut für Geomagnetismus. Inzwischen kam auch wieder Leben in die deutsche Seeschifffahrt, die Seefahrt- schulen stockten in beiden Teilen Deutschlands auf. Er ergriff mit seiner nautisch-akademischen und pädagogischen Ausbildung die Chance, als Lehrer an der Seefahrtschule Wustrow zu unterrichten. Als Offizier und Ausbilder hatte er die Möglichkeit auf Reisen nach Lateinamerika und in der Levantefahrt weitere Erfahrungen zu sammeln, das Patent A6 auszufahren und nicht nur an der modernen Seeschifffahrt teilzuhaben, sondern diese sogar mit zu prägen.
1965 wurde er Stellvertretender Direktor an der Seefahrtschule Wustrow und promovierte 1967 mit einer Arbeit über "Meteorologische Navigation im Bereich tropischer Wirbelstürme", die Habilitation erfolgte 1978. Seine Stellung und Fähigkeiten nutzte er weitsichtig und zielstrebig zur Vorbereitung, Begründung und Einführung einer universitären Ausbildung für Nautiker. Mit Gründung der Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde-Wustrow" wurde Prof. Dr. U. Scharnow Prorektor für Prognose, Naturwissenschaft und Technik, war zuständig für die Entwicklung, der naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung, für Forschung und Organisation sowie Durchführung internationaler Tagungen der Hochschule. Als Dozent unterrichtete er Maritime Meteorologie und Ozeanographie. In der Sektion Schiffsführung Lehrbereich Nautik war er zuständig für die als Seemannschaft geläufigen und stark praxisverbundenen Gebiete, wie Schiffssicherheit, Ladung, Manövrieren und Stabilität. Er schuf mit seinen Mitarbeitern die Voraussetzungen, dass sich diese Lehrkomplexe zu den selbständigen wissenschaftlichen Bereichen "Seetransporttechnologie", "Schiffssicherheit" und "Seemännische Schiffsführung“, entwickelten. Ein Ergebnis intensiver wissenschaftlicher Forschungsarbeit seines Bereiches der "Seemännischen Schiffsführung" war ein Elektronisches Nautisches Informations- und Beratungssystem. Es wurde 1991 durch Krupp-Atlas-Elektronik GmbH in Lizenz übernommen und als ENCIS 1800 als eines der ersten komplexen Schiffsführungssysteme in die Praxis überführt und mit dem SEA-TRADE AWARD 1992 international gewürdigt. Damit war den Nautikern die Symbiose von guter Seemannschaft und Datenverarbeitung gelungen. Bleibende Verdienste im In- und Ausland erwarb sich Prof. Dr. U. Scharnow als Autor und Leiter von Autorenkollektiven. Viele junge Nachwuchswissenschaftler und Forschungsstudenten wurden zu ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen angehalten und gefördert. Zu seinen eigenen Publikationen und zum wertvollen Nachlass seiner Tätigkeit zählen Nachschlagewerke und Fachbücher, die in Ost und West gleichermaßen geschätzt waren, wie die Reihe „Seemannschaft" in 4 Bänden, "Wetterkunde", später "Maritime Meteorologie", "Grundlagen der Ozeanographie", "Ozeanographie für Nautiker“ und das Lexikon "Seefahrt".
Mit dem "SCHARNOW-TÖRN" initiierte er die Entwicklung eines Mann-über-Bord Manövers, das im MERSAR-Handbuch seinen Niederschlag fand und eine höhere Sicherheit des Findens verunglückter Personen bietet.
Als Prof. Dr. U. Scharnow mit 65 Jahren 1991 planmäßig emeritiert wurde, hielt er auf seinem Lehrgebiet in der auslaufenden Ausbildung an der Universität Rostock und danach an der Hochschule Wismar, Fachbereich Seefahrt Warnemünde, weiterhin Vorlesungen. Aus dem Ruhestand entwickelte sich eine neue arbeits- und an Ereignissen reiche Phase. Nicht nur die Hochschulausbildung, sondern die gesamte nautische Ausbildung standen in Mecklenburg- Vorpommern auf dem Prüfstand. Er sah es als dringlich an, diese in ihrer Gesamtheit für junge Leute in Deutschland zu erhalten und setzte sich - wie kaum ein anderer - und ohne Rücksicht auf die eigene Person für eine anspruchsvolle Ausbildung in Deutschland ein. Seine Zielstellung waren der Erhalt einer universitären Hochschulausbildung, wie auch die FH-Ausbildung in Mecklenburg-Vorpommern. Manch schmerzliche persönliche Erfahrung machte er in der Folgezeit. Die ihm eigene Fähigkeit zu wissenschaftlicher Analyse führte zur Erkenntnis, dass die vorhandenen Bildungswege zum Nautiker nicht mehr den Nachwuchs brachten, der in der deutschen und internationalen Seeschifffahrt Arbeit und Verdienst finden konnte. Er entwickelte das sogenannte "Warnemünder oder auch Scharnow-Modell“ und verhalf ihm unter Mobilisierung weiterer engagierter Fachleute, Mitstreiter und Politiker zum Erfolg. Diese Form des Berufsweges der Verbindung von Berufspraktikum und Studium ist heute in Deutschland in mehr oder weniger modifizierter Form gesetzlich verankerte Ausbildungspraxis. Er sah in diesem Modell immer eine Alternative zur Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt und eine Chance, diesen interessanten Beruf weiter zu entwickeln und gleichzeitig jungen Menschen aus der Region Arbeit zu geben, ohne die angestammte Heimat aufgeben zu müssen.
Ebenfalls 1991 ergriff er die Initiative zur Neugründung des Nautischen Vereins Rostock, dessen Vorsitzender er wurde. In dieser Funktion und als anerkannte Kapazität seines Gebietes brachte er sich im Ständigen Fachausschuss des Deutschen Nautischen Vereins ein. Auch hier setzte er sich immer für eine sich vom international geforderten Standard qualitativ positiv unterscheidende nautische Ausbildung in Deutschland ein, die es dem deutschen Nautiker ermöglicht, seinen "Heimatlohn" zu verdienen.
Den Niedergang - von der universitären über die Fachhochschul- bis jetzt zur Fachschulausbildung für ein und dasselbe höchste bzw. alleinige nautische Befähigungszeugnis mit den unabdingbaren Folgen für die Reputation des Nautikers - wertete er als tragisch.
Andererseits muss es ihn mit großer Genugtuung erfüllt haben, die erfolgreiche Inbetriebnahme des Maritimen Simulationszentrums Warnemünde zu erleben, für die er lange mitgearbeitet hatte. Seine Nähe zur maritimen Jugend dokumentiert sich bei der Gründung der und als Mitglied in der Nautischen Kameradschaft "Poseidon" - die zur "VISURGIS" aus der Zeit in Elsfleth hatte nahezu 50 Jahre Bestand.
Für sein Engagement in unseren Berufsstand, um den Erhalt der hochwertigen maritimem Ausbildung in Mecklenburg Vorpommern, in Würdigung seiner fachlichen Arbeit und für seine vielseitigen Beiträge zur Meinungsbildung innerhalb unseres Vereins trug ihm der Vorstand des Vereins der Kapitäne und Schiffsoffiziere e.V., Rostock, anlässlich seines 70. Geburtstages die Ehrenmitgliedschaft an.
Bewegt und dankend nahm er an. Ruhestand seit 1991? - Nein, das war nicht das Leben von Kapitän Prof. Dr. rer. nat. habil. Ulrich Scharnow.
Rastlos bis zur letzten Minute brachte er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit in die gesellschaftliche maritime Entwicklung ein. Bescheiden, fleißig und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit hat er u.a. an der Aktualisierung von Fachliteratur weitergearbeitet. Die Manuskripte sind fertig und harren darauf. veröffentlicht zu werden. Der Tod riss ihn aus einem schaffensreichen Leben. Erfüllt? - Ganz sicher! Und doch, er hatte noch so viele Ideen, die er gern verwirklicht hätte. Sein Verlust wiegt schwer - für seine Frau, Doz. Dr. phil, habil. Renate Scharnow, seine Familie und Angehörigen, aber auch seine Kollegen, die ehemaligen Studenten, Offiziere und Kapitäne - die Fachwelt.


Wir, die Mitglieder des
Vereins der Kapitäne und Schiffsoffiziere e.V., Rostock,
aber auch ungezählte Nautiker
verneigen uns in ehrendem Gedenken vor ihm

- dem Mensch, Dozent und Freund  -

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